Ernährung
12.06.2024
„Botanicals“ – geschickt vermarktet, wenig reguliert
Egal ob Ginseng, Maca, Ashwagandha oder Goji – Supplemente mit Inhaltsstoffen aus exotischen Pflanzen, Algen und Pilzen, sogenannte „Botanicals“, boomen. Häufig ist aber weder die angepriesene Wirkung erwiesen noch die Sicherheit und die Qualität der pflanzlichen Zubereitungen geprüft, was für Verbraucher*innen gesundheitliche Risiken mit sich bringen kann. Konkrete Gesetze auf EU-Ebene fehlen seit Jahren. Daten- und Forschungslücken erschweren zudem eine wissenschaftliche Einschätzung.
Pflanzliche Inhaltsstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln: Was ist reguliert?
Zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel erwecken aufgrund ihrer Aufmachung (Verpackung, Werbung, Inhaltsstoffe, Darreichungsform) bei Verbraucher*innen den Anschein, sie seien Arzneimittel oder mit diesen vergleichbar. Dieser Eindruck entsteht besonders bei Botanicals, deren pflanzlicher Ursprung und Werbeversprechen häufig an Phytopharmaka, pflanzliche Arzneimittel, erinnern.
Tatsächlich gelten Nahrungsergänzungsmittel rechtlich als Lebensmittel und unterliegen daher im Gegensatz zu Medikamenten keiner Zulassungspflicht. Wirksamkeit und Sicherheit müssen nicht wissenschaftlich belegt sein. Verantwortlich für die Unbedenklichkeit ist in der EU allein der Inverkehrbringer (Hersteller, Verpacker oder Verkäufer). Die verantwortlichen Lebensmittelüberwachungsbehörden prüfen Produkte nur stichprobenartig, nachdem sie bereits auf dem Markt sind. Eine Ausnahme stellen Novel Foods (neuartige Lebensmittel) dar, sie benötigen eine Sicherheitsprüfung und Zulassung vor dem Markteintritt.
Ihre als „natürlich“, „rein pflanzlich“ oder „traditionell“ ausgelobten Inhaltsstoffe lassen Botanicals harmlos erscheinen. Das ist jedoch ein Trugschluss. Häufig enthalten sie unerforschte Substanzen, Extrakte sind überdosiert und mögliche Wechselwirkungen mit Medikamenten sind nicht angegeben. Auch chemische oder mikrobiologische Verunreinigungen werden nicht immer geprüft.
Dieses Vorgehen bewegt sich im Rahmen der Gesetze: Insgesamt ist derzeit in der EU-Richtlinie 2002/46/EG nur geregelt, welche Vitamine und Mineralstoffe in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, jedoch ohne Angaben von Höchstmengen. Für sonstige Stoffe, einschließlich der Botanicals, gibt es, bis auf wenige Ausnahmen, keine speziellen Vorgaben. Hier fehlen ebenfalls EU-weit einheitliche Vorschriften zu Höchstmengen, aber auch zur Sicherung von Qualitätsstandards.
Verbotene und eingeschränkte Stoffe in der EU
Verboten oder eingeschränkt sind nur wenige Stoffe. Diese sind in der Verordnung über den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen sowie bestimmter anderer Stoffe zu Lebensmitteln (VO (EG) 1925/2006) zu finden:
Verbotene Stoffe: |
Ephedrakraut (Ephedra spp.) und Zubereitungen daraus |
Yohimbe (Pausinystalia yohimbe (K. Schum) Pierre ex Beille) und Zubereitungen daraus |
Aloe-Emodin, Emodin, Danthron und Zubereitungen aus Blättern von Aloe-Arten, die Hydroxyanthracen-Derivate enthalten |
Stoffe, deren Verwendung eingeschränkt ist: |
Monacoline aus Rotschimmelreis |
Grüntee-Extrakte, die (-)-Epigallocatechin-3-gallat enthalten |
Derzeit geprüft werden Zubereitungen aus Wurzel oder Rhizom von Rhabarber (Rheum palmatum L., Rheum officinale Baillon und ihre Hybride), aus der Rinde des Faulbaumes (Rhamnus frangula L., Rhamnus purshiana DC.) und aus Blättern oder Früchten von Alexandrinischer Senna (Cassia senna L.). Diese enthalten, wie die bereits verbotenen Aloe-Produkte, Hydroxyanthracen-Derivate, die DNA schädigen und Krebs verursachen können.
Empfehlungen ohne rechtliche Bindung
Darüber hinaus gibt es bisher nur Empfehlungen ohne rechtliche Bindung. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat acht pflanzliche Stoffe als gesundheitsschädlich eingestuft, für fünf weitere liegen aktuell zu wenig Daten für eine Gewährleistung der Sicherheit vor:
Einstufung als gesundheitsschädlich |
Eisenhut (Aconitum spp.) |
Fingerhut (Digitalis spp.) |
Meerträubel (Ephedra spp.), bereits verboten |
Weißer Stechapfel (Datura stramonium) |
Wurmfarn (Dryopteris filix-mas) |
Aztekensalbei (Salvia divinorum Epling & Jativa) |
Aristolochia (Aristolochia spp.) |
Schlangenwurzel (Rauwolfia serpentina) |
Khat (Catha edulis) |
Datenlage unzureichend |
„Ashwagandha“, Schlafbeere (Withania somnifera) |
Erdstachelnuss (Tribulus terrestris) |
Geißraute (Galega officinalis L.) |
Kudzuwurzel (Pueraria lobata) |
Wermut (Artemisia absinthium) |
Produkte mit Ashwagandha sind beliebt, konnten aber im letzten Jahr mit einigen Fällen von teils schwerwiegenden Leberschäden in Verbindung gebracht werden. Von Produkten mit Maca (Lepidium meyenii Walp.) rät das BfR ebenfalls ab, da dafür derzeit keine unbedenkliche Verzehrsmenge abgeschätzt werden kann.
Ein anderes, nicht minderriskantes Problem gibt es mit Nahrungsergänzung zur Leistungs- und Potenzsteigerung oder zur Gewichtsreduktion aus dem Internet. Die Produkte werden als „rein natürlich“ beworben, enthalten aber oftmals nicht deklarierte, teils illegale, Arzneiwirkstoffe. Solche Wirkstoffe unwissentlich einzunehmen, kann besonders bei Vorerkrankungen oder bereits bestehender Medikation gefährlich sein.
Health Claims: konkrete Regulierung von Botanicals fehlt
Aussagen zu Vorbeugung, Linderung oder Heilung von Krankheiten sind für Nahrungsergänzungsmittel generell verboten. Unter bestimmten Voraussetzungen sind aber gesundheitsbezogene Angaben, sogenannte „Health Claims“, erlaubt. Um Verbraucher*innen diesbezüglich vor Irreführung zu schützen, gilt seit 2007 in der EU die Health-Claims-Verordnung. Verwendet werden darf nur, was ausdrücklich in einer Positivliste zugelassen ist, alles andere ist verboten. Hersteller haben die Möglichkeit, die Zulassung neuer Claims zu beantragen. Diese prüft die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wissenschaftlich und die EU-Kommission lässt sie letztendlich zu. Bisher sind fast ausschließlich Aussagen zu Vitaminen und Mineralstoffen auf der Positivliste zu finden. Für viele Stoffe wurden Anträge zu gesundheitlichen Aussagen als wissenschaftlich nicht erwiesen abgelehnt.
Für Botanicals existiert noch keine Positivliste, da die Bewertung beantragter Claims seit Jahren von der EFSA ausgesetzt wurde („claims on hold“). Vor allem Online wird dennoch mit gesundheitsbezogenen Aussagen geworben, für die häufig keine ausreichenden wissenschaftlichen Beweise vorliegen. Diese können zwar abgemahnt werden, zum Beispiel durch Mitwettbewerber oder den Verbraucherschutz. Es mangelt aber aufgrund der Produkt- und Anbieterfülle, auch aus dem Ausland, an Kontrollen. Verbraucher*innen haben demnach keine Gewissheit, ob eine Gesundheitsangabe in der Werbung zulässig ist.
Ein zusätzliches Problem ist die Bewerbung von Botanicals über Social Media. Influencer*innen teilen scheinbar persönliche Erfahrungsberichte zu Produkten und kennzeichnen diese häufig nicht, wie vorgeschrieben, als Werbung. Durch das besondere Vertrauen, dass sie oftmals genießen, kaufen Konsumenten die Produkte, ohne Aussagen kritisch zu hinterfragen.
Tipps zum Umgang mit Botanicals:
- Hinterfragen Sie Werbeaussagen immer kritisch, vor allem bei Produkten aus dem Online-Handel.
- Beachten Sie das Risiko von möglichen Wechselwirkungen zwischen Nahrungsergänzung und Medikamenten. Nicht wenige pflanzliche Extrakte beeinflussen beispielsweise die Wirkung von Blutverdünnern, darunter Goji, Ginkgo, Ginseng oder Sägepalme. Informieren Sie gegebenenfalls auch Ihre Ärztin oder Ihren Arzt über die Einnahme.
- Bei Vorschäden und Belastungen der Leber, zum Beispiel durch Alkoholkonsum oder Medikamente wie Paracetamol, sollten Sie die Leberwerte regelmäßig prüfen lassen und pflanzliche Nahrungsergänzung gegebenenfalls sofort absetzen.
- Vorsicht geboten ist besonders bei Produkten zum Abnehmen oder zur Potenzsteigerung: Hier können teils unerlaubte Arzneiwirkstoffe ohne Deklaration auf der Verpackung beigemischt sein.
- Ersetzen Sie nicht eigenmächtig Medikamente durch Nahrungsergänzungsmittel.
- Informieren Sie sich vor der Einnahme von Botanicals, zum Beispiel über das BfR (Gesundheitliche Bewertung von Nahrungsergänzungsmitteln - BfR (bund.de)) oder über die Stofflisten des Bundes (BVL - Stofflisten des Bundes und der Bundesländer - Veröffentlichungen der AG Stoffliste) und verzichten Sie besser auf die oben genannten kritisch eingestuften Pflanzenextrakte.
Fazit
Botanicals sind kein notwendiger Bestandteil einer gesunden Ernährung. Bei abwechslungsreicher ausgewogener Ernährung ist jegliche Nahrungsergänzung für gesunde Menschen in der Regel unnötig.
Setzen Sie für eine langfristige positive Wirkung auf Ihre Gesundheit neben gesunder Ernährung vor allem auf einen stressreduzierten Lebensstil und ausreichend Bewegung. Nahrungsergänzungsmittel und Pflanzenextrakte können keinen ungesunden Lebensstil kompensieren und im schlimmsten Fall sogar gesundheitsschädlich sein.
Quellen
Pflanzliche Materialien und Zubereitungen | EFSA (europa.eu)
Natürliche Abwehrkräfte, Auszug aus BfR2GO 2/2023 (bund.de)
Risikobewertung von Pflanzen und pflanzlichen Zubereitungen - BfR-Wissenschaft 12/2013 (bund.de)
EUR-Lex - 02006R1925-20230622 - EN - EUR-Lex (europa.eu) VO (EG) 1925/2006 (Verordnung über den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen sowie bestimmten anderen Stoffen zu Lebensmitteln)
EUR-Lex - 02002L0046-20220930 - EN - EUR-Lex (europa.eu) Richtlinie 2002/46/EG (Europäische Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Nahrungsergänzungsmittel (NEM-Richtlinie) in der Fassung vom 30.09.2022)
LEBERSCHÄDEN DURCH NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTEL MIT ASHWAGANDHA (arznei-telegramm.de)
Botanicals: Die große Gesetzeslücke - UGB-Gesundheitsberatung Angela Clausen, Botanicals – Die große Gesetzeslücke; UGBforum 3/2020