Verbraucherrecht

30.10.2018, Stärken und Schwächen

Die Musterfeststellungsklage tritt zum 1. November 2018 in Kraft

Geschädigte Verbraucher, die sich erkundigen, ob sie sich aktiv gegen das Telekommunikations­unternehmen, den Energieversorger oder das Inkassobüro wehren können, welches ihnen gerade das Leben schwermacht – das ist Alltag in den 15 bayerischen Beratungsstellen des VerbraucherService Bayern im KDFB e.V. (VSB). Regelmäßig kommt auch die Frage nach einer Sammelklage auf. Ab dem 1. November 2018 wird dies in Deutschland mit der Einführung der Musterfeststellungklage zum ersten Mal tatsächlich möglich – gerade noch rechtzeitig, um die Ver­jährung von Ansprüchen zahlreicher durch den Abgasskandal geschädigter VW-Eigentümer zu verhindern. So haben sich die Autohersteller – allen voran VW – ungewollt zum Motor für die Kollektivklagerechte gemacht und der Entwicklung einer schon längst fälligen Klageform auf die Sprünge geholfen.

Die Musterfeststellungsklage tritt zum 1. November 2018 in KraftFoto: © succo-pixabay.com

Keine Sammelklage, sondern eine „Eine für Alle“ Klage

Im Falle einer Musterfeststellungsklage treten allerdings nicht die Verbraucherinnen und Verbraucher als Kläger im Prozess auf, sondern ein Verband, beispielsweise ein Verbraucher­verband wie der VSB. Klagebefugt sind sogenannte qualifizierte Einrichtungen mit mindestens 10 Mitgliedsverbänden oder 350 Einzelmitgliedern. Der Verband darf sich nicht zum Zweck der Erhe­bung von Musterklagen gegründet haben, sondern muss seit mindestens vier Jahren in einer Liste für zur Unterlassungsklage befugten Verbänden auf Bundes- oder auf EU-Ebene eingetragen sein. Die klagenden Verbände dürfen nicht mehr als 5% ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen und sind verpflichtet, nicht in Gewinnerzielungsabsicht zu handeln.

Grund für diese restriktive Klagebefugnis: Vermeidung von sogenannten „amerikanischen Verhält­nissen“. Gemeint ist damit eine Klageindustrie, bei welcher Anwälte oftmals Strafschadensersatz­ansprüche in vielfacher Millionenhöhe gegen Unternehmen erstreiten und diese damit – so jedenfalls die Befürchtung – wirtschaftlich in die Knie zwingen.

Diese Voraussetzungen führten bereits vor der Gesetzes-Einführung zu Kritik. Beispielsweise wird die Umwelthilfe, welche sich auch und gerade im Zusammenhang mit den Dieselfahrverboten als sehr klagefreudig und erfolgreich erweist, keine Befugnis besitzen, eine Musterfeststellungsklage einzureichen.

Ablauf des Verfahrens

Mit der Musterfeststellungsklage bekommen nun Verbraucherverbände die Möglichkeit, Muster­verfahren gegen Unternehmen, beispielsweise gegen Hersteller von Fahrzeugen mit manipulierter Schadstoffsoftware, zu führen. In einem einzigen Verfahren wird künftig rechtsverbindlich für mehrere Verbraucher geklärt, ob die Voraussetzungen für konkrete Ansprüche aus einem Rechts­verhältnis, also beispielsweise für Schadensersatzansprüche gegeben sind.

Der Verband reicht die Klage zunächst ein und macht glaubhaft, dass mindestens zehn Verbraucherinnen und Verbraucher von dem gleichen Fall betroffen sind. Nach der öffentlichen Bekanntgabe der Musterfeststellungsklage müssen sich, damit die Klage zulässig ist, mindestens 50 Verbraucherinnen und Verbraucher innerhalb von zwei Monaten wirksam im sogenannten Klageregister, welches das Bundesamt der Justiz führt, anmelden. Da die Verbraucher selbst keine Prozessbeteiligten beim Musterfeststellungsverfahren sind, können sie beispielsweise auch als Zeugen vernommen werden.

Zuständig für die Musterfeststellungsverfahren sind die Oberlandesgerichte. Die einzelnen Bundes­länder haben die Möglichkeit, ein einheitliches Oberlandesgericht oder oberstes Landesgericht zu bestimmen, welches die Zuständigkeit für Musterfeststellungsklagen für den Bereich mehrerer Oberlandesgerichte bekommt. Örtlich ist der Firmensitz des beklagten Unternehmens für die Zuständigkeit entscheidend. Gegen das Urteil in einem Musterfeststellungsverfahren ist stets das Rechtsmittel der Revision zulässig.

Vorteile für Verbraucherinnen und Verbraucher

  • Die Teilnahme an der Musterfeststellungsklage ist für die Verbraucherinnen und Verbraucher kostenlos.
  • Die Musterfeststellungsklage hemmt die Verjährung der Ansprüche.

Das Verfahren endet mit einem Urteil oder mit einem Vergleich, welcher vom Gericht zu geneh­migen ist. Bei einem Vergleich besteht die Möglichkeit, dass bereits Leistungen für die am Verfahren beteiligten Verbraucherinnen und Verbraucher vereinbart werden. Diese haben die Möglichkeit, innerhalb eines Monats aus dem Vergleich auszutreten. Alle sonstigen während des Prozesses getroffenen Feststellungen bleiben aber weiterhin verbindlich. Erklären mehr als 30% der beteiligten Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Austritt aus dem Vergleich, so wird dieser nicht wirksam.

Nachteile für Verbraucherinnen und Verbraucher

  • Alle „Sammelkläger“ müssen – nach einem im Rahmen des Musterfeststellungsverfahrens ergangenen Feststellungsurteil – ihre eigenen Leistungsansprüche noch individuell geltend machen. Es dauert also durchaus mehrere Jahre, bis der Verbraucher tatsächlich „Geld sieht“.

Diese Vorgabe gab es bislang in Deutschland nur für einen Spezialfall im Bereich der Kapital­anleger. Der bekannteste, nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz geführte Prozess fand im Jahr 2000 statt und beschäftigte sich mit der Telekom-Aktie. Die nachgelagerte Geltend­machung individueller Ansprüche dauert bis heute an.

Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren in ihren eigenen Prozessen von den bereits getroffenen Feststellungen und es bedarf keiner weiteren Beweisaufnahme, neuer Gutachten etc.

Dies erweist sich jedoch auch als ein Vorteil der Unternehmen, da sich durch die Bündelung für diese das wirtschaftliche Risiko relevant verringert.

Kritik aus Sicht des Verbraucherschutzes

Die Musterfeststellungsklage mag für Fälle wie den Abgasskandal sinnvoll sein, sie versagt jedoch völlig bei den sogenannten Bagatell- und Streuschäden.

Wenn es um einen Schadensersatz für die Wertminderung bei einem VW mit manipulierter Abgassoftware geht, so bewegen wir uns finanziell in Bereichen, bei denen sich eine Individual­klage nach Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens für den Verbraucher lohnt. Finden sich aber beispielsweise 3,50 Euro auf einer Telefonrechnung, die ein unseriöser Drittanbieter zu Unrecht kassierte, oder tappt der Verbraucher in eine sogenannte Internetabofalle, so hat er kein rationales Interesse daran, seinen Schaden selbst einzuklagen. Damit verbleiben die Unrechts­gewinne bei den Unternehmen.

EU-Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher

Es steht zu hoffen, dass durch die geplante EU-Richtlinie zu Verbandsklagen noch einige Schwachstellen der Musterfeststellungsklage behoben werden. Die Problematik der Bagatell- und Streuschäden wäre vermutlich am besten durch einen Gewinnabschöpfungsanspruch für Verbände in den Griff zu bekommen. Dieses Instrument kennt das deutsche Recht bereits, es hat aber bisher keine praktische Relevanz, da die Beweislasthürde, einen vorsätzlichen Rechtsverstoß nachzuweisen, hier für den jeweils klagenden Verband ein nahezu unüberwindbares Hindernis darstellt.

Aus Sicht des Verbraucherschutzes lohnt es sich darüber nachdenken, ob nicht zumindest bei einfach zu berechnenden Ansprüchen auch eine Form der Leistungsklage im Musterverfahren denkbar wäre. Jedenfalls aber eine vereinfachte Leistungsklage für die Verbraucherinnen und Verbraucher nach dem ergangenen Musterfeststellungsurteil.

Geplantes Musterfeststellungsverfahren gegen VW
Der Verbraucherzentrale Bundesverband kündigte bereits an, Anfang November, direkt nach Inkrafttreten des Gesetzes, Musterfeststellungsklage gegen VW zu erheben. Unterstützung erhält er dabei vom ADAC.

Verbraucherinnen und Verbraucher, die Interesse haben, sich an diesem Verfahren zu beteiligen, informieren und merken sich bereits jetzt unter www.musterfeststellungsklagen.de vor. Die Mög­lichkeit sich zu beteiligen haben grundsätzlich alle, die seit November 2008 einen Diesel der Marken Volkswagen, Audi, Skoda oder Seat mit Motoren des Typs EA 189 gekauft haben. Die Verhandlungen beginnen voraussichtlich in den ersten Monaten des kommenden Jahres. Wegen der möglicherweise drohenden Verjährung von Ansprüchen macht es auf jeden Fall Sinn, sich der Klage bis spätestens 31. Dezember 2018 anzuschließen.